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Die Lage ist angespannt – Georgien nach der Wahl

Schon im April und im Juli dieses Jahres haben wir im wir im Vorfeld der Wahlen in Georgien einen Blick auf das Land im Kaukasus geworfen.

Am 31. Oktober hat Georgien ein neues Parlament gewählt. Die Wahlen resultierten in einer absoluten Mandatsmehrheit der regierenden Partei „Georgischer Traum“ (GD), die aber bedingt durch eine Wahlrechtsänderung Sitze verloren hat. Die Opposition spricht von Wahlfälschung und will das Ergebnis nicht anerkennen und fordert Neuwahlen. Was ist passiert?

Wie ist die Wahl ausgegangen?

Das georgische Wahlrecht ist ein sogenanntes Grabenwahlrecht: 120 Sitze werden proportional gemäß dem Stimmenanteil bei der Parlamentswahl verteilt, 30 Abgeordnete werden direkt in Wahlkreisen gewählt. Erreicht kein Wahlkreiskandidat 50 Prozent der Stimmen, so findet eine Stichwahl Ende November statt. Für die Verhältniswahl gilt eine Sperrklausel von einem Prozent. Das Wahlrecht wurde 2019 zugunsten kleinerer Parteien abgeändert, da es zu Massendemonstrationen gegen die Regierung kam. Diese gewann bei den Wahlen im Jahr 2016 weniger als 50 Prozent der Stimmen, stellte aber mehr als 75 Prozent der Abgeordneten. 

Gemäß dem amtlichen Endergebnis erreichte der GD 48,2 Prozent der Stimmen und stellt damit 62 Abgeordnete nach dem Verhältniswahlrecht. Die größte Oppositionspartei UNM holte 27,1 Prozent und 35 Sitze, weitere Kleinparteien (darunter auch Girchi, wir berichteten im Juli 2020) kommen zusammen auf insgesamt 22 Mandate. In 14 der 30 Wahlkreise konnten GD-Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen, in 16 Wahlkreisen kommt es zu Stichwahlen zwischen Vertretern des GD und einem Oppositionsbündnis aus UNM. 

Damit dürfte der GD in der kommenden Legislaturperiode über eine absolute Mandatsmehrheit verfügen. Der GD regiert seit acht Jahren und ist eine Partei ohne feste ideologische Position, ist allerdings beobachtendes Mitglied in der europäischen Dachorganisation der Sozialdemokraten. Hinter dem GD steht der Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili, der zwar kein öffentliches Amt innehat, aber dennoch die Grundlinien der Parteipolitik festlegt. Die UNM gilt als liberal-konservativ und ist die Partei des ehemaligen Präsidenten Michail Saakaschwili, der maßgeblich an der friedlichen Rosenrevolution 2003 beteiligt war. Nach dem Ende seiner Präsidentschaft 2013 setzte er sich in die Ukraine ab, da gegen ihn wegen diverser Delikte ermittelt wird. Beide Parteien setzen sich für einen NATO- und EU-Beitritt Georgiens ein.

Vorwürfe

Die ersten Nachwahlbefragungen sahen den GD bei 41 – 53 Prozent, die UNM bei 24 – 33 Prozent. Am Sonntag wandte sich Michail Saakaschwili in einem Facebook-Video an die internationale Gemeinschaft und behauptete, die Opposition habe gewonnen und die Wahlen seien von der Regierung „gestohlen“ worden. Dazu führte er an, dass die ersten Prognosen den GD bei 41 Prozent sahen, im Laufe der Auszählung deren Stimmanteil allerdings immer weiter zunahm. Das stimmt zwar, allerdings stammte diese Zahl von einem oppositionsnahen Sender, während andere Exit Polls den GD bei über 50 Prozent taxierten und dessen Stimmanteil im Verlauf der Stimmauszählung abnahm.

Saakaschwili führte weiter an, es sei zu massiven Wahlfälschungen gekommen, die vergleichbar mit den Wahlfälschungen in Belarus seien. Internationale Wahlbeobachter sprachen zunächst von insgesamt freien und grundsätzlich legitimen Wahlen, wenngleich es zu vereinzelten Ungereimtheiten gekommen sei und Wähler in einigen Wahllokalen eingeschüchtert worden seien. 

Zum Sonntagabend hin erklärten neben Saakaschwili auch weitere Oppositionspolitiker, die Wahlen nicht als legitim anzuerkennen, darunter beispielsweise die Vorsitzende der liberalen Kleinpartei „Die Republikaner“, die sozialdemokratische Arbeiterpartei und Vertreter der pro-europäischen Partei Europäisches Georgien. Am Montagnachmittag kündigten schließlich alle Oppositionsparteien an, ihre Sitze im Parlament nicht anzunehmen.  Es sei zu massiven Wahlfälschungen gekommen und das Wahlergebnis damit illegitim.

Viele Wähler teilten von Sonntag an auf Facebook die Wahlzertifikate ihrer Wahllokale, die auf den Seiten der Nationalen Wahlkommission abrufbar sind, und tatsächlich sind bei dutzenden Wahlzertifikaten Ungereimtheiten zu erkennen. Bei einigen Wahllokalen fehlen hunderte Stimmen, die als abgegeben vermerkt wurden, in der Parteiauflistung, bei anderen Wahllokalen ist die Wahlbeteiligung ungewöhnlich niedrig oder hoch. Die Liste 41, der GD, erhielt in solchen Wahllokalen dabei überproportional viele Stimmen. Zeitweise ging der Server der Nationalen Wahlkommission offline.

Quelle: Georgische Wahlkommission
Quelle: Georgische Wahlkommission

Im Gesamtbild ist noch unklar, wie weitreichend diese Unregelmäßigkeiten bei den Auszählungen sind. Es bedarf wohl weitergehender Untersuchungen durch neutrale Beobachter, um festzustellen, ob es nur vereinzelte Auszählungsfehler sind, oder ob es tatsächlich zu großflächigen Manipulationen kam.

Auswirkungen

Die Ungereimtheiten bei den Wahlen würden tatsächlich Auswirkungen auf die Sitzverteilung im georgischen Parlament haben. In fünf Wahlkreisen liegen Kandidaten des GD nur knapp über der Marke von 50 Prozent. Sollten Neuauszählungen angeordnet werden und die GD-Kandidaten in sämtlichen dieser Wahlkreise unter 50 Prozent fallen, so müsste es auch in diesen zu Stichwahlen kommen, bei denen der Ausgang ungewiss wäre. Es spricht derzeit allerdings viel dafür, dass die Opposition auch die Stichwahlen boykottieren wird, um den Wahlen jegliche Legitimität abzusprechen. Auch wenn die einzelnen Oppositionsparteien untereinander äußerst zerstritten sind, so sind sie vereint in ihrer Forderung nach raschen Neuwahlen.

Die aktuellen Vorwürfe um Wahlfälschungen dürften das ohnehin schon sehr polarisierte Land noch weiter spalten. Kurz vor den Wahlen forderte ein Kabinettsmitglied des GD, dass die UNM verboten werden solle, da sie „eine Revolution plane“. Inzwischen kam es vor allem in den großen Städten des Landes, in denen die Opposition besonders stark abschnitt, zu Demonstrationen gegen den GD.

Da Georgien zuletzt auch mit einer steigenden Anzahl an Covid-19-Fällen kämpfen musste, bleibt abzuwarten, wie die Regierung auf solche Demonstrationen reagieren wird. Sollte es zu kurzfristigen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit als Reaktion auf die Proteste kommen, dann könnte die Lage gänzlich eskalieren. 

Dem beschaulichen Kaukasusland stehen unruhige Wochen bevor.


Dieser Artikel ist Teil einer dreiteiligen Artikelreihe über die Wahlen in Georgien am 31. Oktober 2020. Hier die Übersicht:

Jan Jakob Langer

Hey! Ich bin Jan Jakob, 20 Jahre alt und studiere seit 2018 an der Universität des Saarlandes Chemie. Meine Interessen liegen vor allem im politischen und naturwissenschaftlichen Bereich.

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