Johanna Grabow aus Cambridge ist Polar-Guide und arbeitet für den Wissenschaftlichen Ausschuss für Antarktisforschung (SCAR). Die gebürtige Thüringerin ist nun schon seit über sechs Jahren im Forschungsgebiet der Antarktis aktiv. Ihre letzte Expedition im Februar 2020 ging auf die antarktische Halbinsel. Die nächsten geplanten Expeditionen liegen jedoch vorerst auf Eis – die Antarktis soll frei von Corona bleiben.
Johanna, was hat dich dazu bewegt, Polarforscherin zu werden?
Ich bin über Umwege in der Polarforschung gelandet. Eigentlich habe ich in Leipzig eine Geisteswissenschaft studiert. Dabei habe ich mich besonders auf das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Literatur konzentriert und mich irgendwann auf Polarregionen und Klimawandel spezialisiert. Da die Polarforscher-Szene in Leipzig nicht so groß ist, habe ich mich dann in Cambridge beworben. Dort hat eins zum anderen geführt, ich habe einen Job, Freunde und ein neues Zuhause gefunden.
“Selbst an Orten, an denen die Menschen hunderte von Kilometern entfernt sind, finden wir Unmengen an Plastikmüll.”
Johanna Grabow, Polarforscherin
Was darf neben vernünftiger Bekleidung auf deinen Expeditionen auf keinen Fall fehlen?
Ein Fernglas! In Polarregionen kann man unglaublich viele Tiere sehen. Was man aber oft vergisst: Wir müssen immer genügend Abstand von den Wildtieren halten, damit wir sicherstellen, dass wir sie nicht stören. Das heißt, man kommt an viele Tiere nicht ran, außer man hat ein Fernglas oder eine super Kamera dabei. Zusätzlich dazu Heizeinlagen für die Socken, damit man keine kalten Füße bekommt. Im Schnee und Eis geht das ziemlich schnell.
Wo genau arbeitest du?
Ich arbeite als Expeditions-Guide vor allem in der Antarktis. Wenn ich nicht auf Expedition bin, dann arbeite ich für den Wissenschaftlichen Ausschuss für Antarktisforschung “SCAR”. Dort organisiere ich alle möglichen Programme, unter anderem Beratungsangebote für politische Institutionen und Forschertreffen. Die Antarktis vereint alle möglichen Wissenschaften. Wir haben Biologen, Glaziologen, Geologen und sogar Geisteswissenschaftler. Das alles unter einen Hut zu bekommen, ist ziemlich spannend.
Was treibt denn Wissenschaftler momentan in die Arktis?
Dafür gibt es viele Gründe. Arktis und Antarktis sind tolle Laboratorien, um Daten zu sammeln. Ob man jetzt Meer-Eisphysiker ist und seine Daten sammeln möchte, Meeresbiologe, Geowissenschaftler Atmosphärenphysiker, die Polarregionen sind ein toller Ort, um Feldforschung zu betreiben. Es gibt dort noch sehr viel zu entdecken und bietet eine tolle Möglichkeit, international zusammenzuarbeiten.
Ist es manchmal schwierig, Wissenschaftler aus der ganzen Welt an einen Tisch zu bringen?
Natürlich ist es eine Herausforderung, verschiedene Ansichten, Kulturen und Arbeitsweisen zu vereinen. Manchmal scheitert es schon am Visa. Schwierig ist es auch, Menschen aus unterschiedlichen Zeitzonen an einen Tisch zu bekommen. Wir wollen aber alle zusammenarbeiten. Besonders durch Jungwissenschaftler, die modern und inklusiv arbeiten, kommt eine tolle Dynamik in unsere Arbeit.
Was passiert, wenn auf einer Expedition etwas schiefgeht? Mal eben einen Krankenwagen zu rufen ist in der Arktis ja schwer.
Man sollte sich den Gefahren immer bewusst sein. Wir können dort auf unser intensives Training vertrauen. Manchmal wirkt es albern, was wir für Training machen müssen, ob auf dem Schiff oder auf dem Land. Aber wenn man mal in einer Notlage ist, dann weiß man, dass das alles seinen Platz hat. Wir packen dann international an, um Probleme zu lösen. In den Polarregionen sind die Konsequenzen eines Unfalls höher. Man läuft nicht unbedacht herum, sondern ist vorsichtiger. Wir haben ein ganz anderes Bewusstsein für unsere Umgebung weil wir wissen, dass schnell mal etwas schiefgehen kann. Die Polarregion verzeiht keine Fehler.
Hast du mehr männliche oder weibliche Kollegen?
Bis zu meiner letzten Reise hätte ich gesagt, ich hätte mehr männliche Kollegen. Tatsächlich waren wir im Februar aber eine reine Frauentruppe. Traditionell hat man eher das Bild von alten, weißen Männern im Kopf. Das füttert das heroische Bild des Entdeckungsreisenden. Das ist aber wirklich nicht mehr zeitgemäß. Das Bild wird endlich durch viele, diverse Jungwissenschaftler ausgetauscht. Das ist toll zu sehen. Wir sind noch nicht bei einem Gleichgewicht angekommen, der Trend steigt aber. Vielleicht könnte es von den Nationalitäten her noch ein bisschen diverser sein. In meiner Erfahrung kommen die meisten Forscher aus westlichen Ländern.
Vermisst du das Eis, wenn du zuhause bist?
Nach einer Expedition freut man sich natürlich immer tierisch auf sein Heim, auf die Familie und die Freunde. Die Zeit auf dem Schiff ist sehr anstrengend, man hat nie frei. Wenn man dann zuhause ist, muss man erstmal wieder lernen, mit sich zurechtzukommen. Nach einen paar Wochen legt sich das aber wieder. Dann fängt man an, das Eis zu vermissen. Das ist eine gewisse Sehnsucht, auch Polarfieber genannt. Wenn man einmal da war, dann will man immer wieder hin.
Wie lange dauert eine Expedition?
Das ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Beispielsweise von der Jahreszeit. Wenn man überwintert, dann bleibt man viele Monate auf der Station. Ich bin meistens ein bis zwei Monate am Stück unterwegs. Man muss aber auch immer berechnen, dass allein die Anreise zur den Polarregionen mindestens drei Tage dauert.
Hast du schon mal Auswirkungen des Klimawandels erlebt?
Man muss immer aufpassen, nach welchen Anzeichen man sucht. In vieles lässt sich auch oft eine Menge hineininterpretieren. In Svalbard, zwischen Norwegen und dem Nordpol, haben wir mal einen Gletscher besucht. Dort haben wir die Moränen, also Steinaufschüttungen des Gletschers gesehen, an denen man sehen kann, wo der Gletscher mal war. Zwischen den Aufschüttungen und dem Gletscher lagen hunderte von Metern. Das war verrückt, man hat sich nur schwer vorstellen können, wie viel Eis da mal gewesen ist. Das Ausmaß war riesig. Ich habe auch schon Regen in der Antarktis erlebt. Das ist etwas, was eigentlich nicht passieren sollte. Wir haben eine Pinguin-Kolonie beobachtet, die nass geregnet wurde, obwohl es nicht regnen sollte. Pinguinküken sind noch nicht „wasserfest“ und dem Regen dann ausgeliefert. Eine andere Beobachtung, die nichts mit dem Klimawandel zu tun hat, habe ich auch noch gemacht. Selbst an Orten, an denen die Menschen hunderte von Kilometern entfernt sind, finden wir Unmengen an Plastikmüll. Das romantische Bild der unberührten, wundervollen Eiswelt zerspringt dann sofort.
Was machen diese Bilder mit den Wissenschaftlern?
Jeder geht damit anders um. Die einen werden traurig, einige weinen. Einige schöpfen aus solchen Auswirkungen aber ihre Motivation und arbeiten den Problemen noch stärker entgegen. In den letzten Jahren ist in Richtung Umweltschutz schon eine Menge passiert. Na klar, den meisten kann es nicht schnell genug gehen, ich bin aber glücklich, dass überhaupt etwas passiert.
Spannendes Interview, wie traurig, das mit dem Platikmüll 😓