Wasser bleibt ein Menschenrecht

„Drink Healthy, Live Healthy!“: So lautet der Werbespruch einer der weltgrößten Nahrungsmittelkonzerne, der in Plastikflaschen abgefülltes Wasser verkauft. Immer wieder gerät dieses Schweizer Unternehmen jedoch in die Kritik. Darf ein Konzern dieses Wasser so teuer verkaufen, wenn man 1:1 das gleiche Wasser (fast) kostenlos haben könnte? Wieso trinken wir nicht einfach das Wasser aus dem eigenen Wasserhahn und warum wird nichts gegen die Probleme – ausgelöst durch die Gewinnung des Wassers – unternommen?

Der Verkauf von Quellwasser an sich ist nichts Verwerfliches. Alle Supermärkte bieten ein breit gefächertes Angebot an stillem oder auch kohlensäurehaltigem Wasser an, egal ob der Discounter um die Ecke oder der regionale Einzelhändler. Oftmals wird auf abgefülltes Wasser zurückgegriffen, wenn der Geschmack des Leitungswassers (der von Ort zu Ort unterschiedlich sein kann) einfach nicht den Erwartungen entspricht.
Nestlé ist jener Nahrungsmittelkonzern. Er besitzt zahlreiche Marken und verkauft mit seiner Produktpalette Pure Life sowie 77 weiteren Labels Trinkwasser. Auch Vittel, Perrier, S. Pellegrino und ContreX gehören zu Nestlé. Andere Marken wie zum Beispiel Gerolsteiner, Vio oder Volvic geraten nicht in die Schlagzeilen, Nestlés Wassermarken hingegen schon.

Doch wieso gerät Nestlé immer wieder in die Schlagzeilen?

Den größten Image-Crash verursachte Nestlé vor einigen Jahren selbst. In einem Interview sagte Peter Brabeck-Letmathe, ehemaliger Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé, dass Wasser eben kein öffentliches Gut und der Zugang zu Wasser eben kein Menschenrecht sei, sondern Wasser einen Marktwert habe, wie andere Lebensmittel auch. Diese Äußerung sorgte weltweit für Empörung, denn Nestlé ist Marktführer für in Flaschen abgefülltes Trinkwasser und verdient sehr gut an diesem Geschäft. Um weiter der Marktführer zu bleiben, hat der Konzern weltweit Wasserrechte gekauft, auch in Regionen wie in Nigeria und Äthiopien, in denen Dürre herrscht, und steht dafür in der Kritik. Das Subunternehmen „Nestlé Waters“ macht jährlich mehr als sieben Milliarden Euro Umsatz mit dem Verkauf von in Flaschen abgefülltem Tafelwasser, das aus dem Grundwasser abgepumpt wird und somit nicht unter die Wasserschutzgesetzte einiger Länder fällt.

Das Abpumpen des Grundwassers hat Folgen

Die französische Gemeinde Vittel im Département Vosges ist berühmt für das gleichnamige Wasser, das auch hierzulande verkauft wird. Eigentlich wäre genug Grundwasser für alle Bewohner vorhanden. Doch Nestlé füllt dort jedes Jahr 750 Millionen Liter Wasser ab und verdient laut Geschäftsbericht allein damit über 260 Millionen Euro. Wie das ZDF-Fernsehmagazin „Frontal 21“ berichtete, sinkt der Grundwasserspiegel stark, jedes Jahr um etwa 30 Zentimeter. „Nestlé nimmt keine Rücksicht“, zitiert tagesschau.de den Präsidenten des Umweltverbandes VNE, Jean-François Fleck. „Der Konzern schützt die Ressource Wasser nicht, sondern er beutet sie aus.“

Damit Nestlé auch in Zukunft weiter Wasser dieser Quellen abfüllen kann, soll eine Lösung für das Dorf Abhilfe schaffen: Eine neue Pipeline soll Wasser aus benachbarten Dörfern und Regionen aus 20 Kilometer Entfernung herbeischaffen, die von Steuergeldern bezahlt werden soll. Die meisten Bürger unternehmen nichts bzw. nur sehr wenig gegen dieses Vorhaben, denn Nestlé ist einer von zwei Hauptarbeitgeber der Region. „Es wäre schade, wenn sie eine Quelle außerhalb von Vittel suchen würden.“, so eine Bürgerin zum Y-Kollektiv, einem öffentlich-rechtlichen YouTube-Reportagen-Kanal.

Die Vorgehensweise als Strategie

Ein Zehntel des Gesamtumsatzes von 110 Millarden Schweizer Franken macht Nestlé mit Flaschenwasser, doch wie macht der Konzern das? Weltweite Wasserrechte in lokalen Kommunen erlauben es Nestlé, das kostbare Gut aus dem Boden pumpen. Laut der New York Times ist das Vorgehen von Nestlé in den USA durchaus üblich: Die Landbesitzer können so viel Wasser nutzen wie sie möchten, solange sie es selbst aus dem Boden pumpen. Welche Auswirkungen das Entnehmen des Wassers längerfristig auf die Umwelt hat, ist schwer vorherzusagen. Arlene Anderson-Vincent, Nestlés „Natural Resources Manager” für Michigan behauptet in einem Interview mit der New York Times: „Wir entnehmen nie mehr, als die Natur wieder zurückbringen kann.“
Fakt ist jedoch, das Quellen versiegen, Flüsse sich in Bäche verwandeln und ganze Landstriche austrocknen. Auch auf anhaltende Dürren wird keine Rücksicht genommen, wie beispielsweise 2014 in Kalifornien. Nestlé bedient sich weiter am Wasser, obwohl die Grundwasserspiegel schon drastisch gesunken sind.
2013 erschien „Bottled Life – Nestlés Geschäfte mit dem Wasser“. Ein Dokumentarfilm, der zeigt, wie Nestlé mit Trinkwasser Geschäfte auf Kosten der Armen macht und sich dabei eine goldene Nase verdient. Wie auch in damaligen Interviews, teilt man mir auf Anfrage bei der Pressestelle von Nestlé mit, dass der Dokumentarfilm „älter […], extrem einseitig […] und manipulativ […]” sei.

Das Angebot an Wasserflaschen im Supermarkt ist riesig, auch die umstrittene Produktpalette „Pure Life“ wird hierzulande verkauft, doch das abgefüllte Wasser stammt aus Deutschland. Auffällig ist allerdings, dass kein REWE-Markt die Produktpalette führt. Raimund Esser, Bereichsleiter Unternehmenskommunikation bei der REWE Markt GmbH, bestätigt mir dies: “Wir haben die Produktpalette “Pure Life” im Frühsommer 2017 in allen deutschen REWE Märkten ausgelistet. Insofern können Sie nur noch vereinzelt in REWE Märkten Restkontingente dieses Wassers finden, die noch abverkauft werden. Ansonsten führen wir das Produkt nicht mehr. Ob dies an den erhobenen Anschuldigungen gegen Nestlé liegt, bleibt offen, denn REWE kommuniziert “grundsätzlich nicht öffentlich über [seine] Lieferanten.

Wasserprivatisierung – Die aktuelle Situation in Deutschland

In Deutschland gibt es immer wieder Diskussionen, ob eine Privatisierung des Wassers eventuelle Vorteile mit sich bringen würde oder ob man Brunnen, Wasserspeicher und Leitungssysteme in Privatbesitz übergeben soll. 2013 haben Rat und Europaparlament entschieden, dass Städte und Gemeinden ihr Trinkwasser nicht den Konzernen überlassen müssen. Die Wasserversorgung wird aus der EU-Konzessionsrichtlinie ausgenommen, Wasser ist und bleibt daher ein Menschenrecht, auch in Zukunft.

Nestlé tut nichts Verbotenes, gar Illegales. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern füllt Grundwasser ab und vertreibt es. Nestlé ist zwar bemüht um ein nachhaltiges Abpumpen von Wasser und hat dafür in den USA etliche Zertifikate erhalten, doch ist bislang noch unklar, ob und welche fatalen Auswirkungen auf die Umwelt der Wasserraub für eine Landschaft haben wird. Letztendlich muss jeder für sich überlegen, welche Form des Wasserkonsums er bevorzugt und was für einen selbst moralisch vertretbar ist.
Das Geschäftsmodell, aus einem Allgemeingut – wie das Wasser – ein Milliardengeschäft aufzubauen, bleibt fragwürdig. Ob Kriege im nächsten Jahrhundert ums Wasser geführt werden? Vermutlich.

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