Die Coronakrise hat die Stärken und Schwächen Deutschlands rücksichtslos offengelegt. Neben vielen Stärken wird deutlich: Unsere Verwaltung ist zu langsam, in der Digitalisierung liegen wir weit zurück und der Föderalismus ist erneuerungsbedürftig. Die saarländische CDU-Bundestagsabgeordnete Nadine Schön und ihr Fraktionskollege Thomas Heilmann liefern in ihrem, im Sommer diesen Jahres erschienenen Buch „NEUSTAAT“ zahlreiche Ideen und Konzepte, wie sich Politik und Staat verändern müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Von Digitalisierung über die Modernisierung der Verwaltung, über Bildung und Klimaschutz bis hin zur Rentenpolitik, präsentieren die Autoren ihre Visionen für die Zukunft des Landes. Der Bestsellerautor und Herausgeber von „Steingarts Morning Briefing“, Gabor Steingart, bezeichnete das Buch als „Masterplan für die Nach-Merkel-Ära“.
Insgesamt 64 Abgeordnete & Experten wirkten mit und erarbeiteten 103 Vorschläge für die Erneuerung der Politik und des deutschen Staates. Neben Nadine Schön arbeitete auch, der ebenfalls aus dem Saarland stammende CDU-Bundestagsabgeordnete Markus Uhl, als Co-Autor an dem im FinanzBuchVerlag erschienenen Buch mit. Im Interview mit Der Jungreporter standen uns die beiden Rede und Antwort.
Mit dem Buch “NEUSTAAT” haben Sie ein Buch geschrieben, welches zahlreiche Vorschläge für einen modernen Staat liefert. Wie kam es zur Idee und welche Rolle spielen die Co-Autoren?
Nadine Schön & Markus Uhl: Die Idee zum Buch entstand aus einer Gruppe in unserer Fraktion, die ganz gezielt darüber beraten und diskutiert hat, welche Voraussetzungen wir für ein gutes Leben auch im Jahr 2030 schaffen müssen. Was sind die Herausforderungen? Wo müssen wir gezielt ansetzen? Dabei haben wir Kernpolitikfelder identifiziert, zu denen Neustaat auch Antworten liefert.
Entscheidend war aber, dass wir immer wieder durchs gleiche Nadelöhr mussten – und das Nadelöhr sind wir selbst, sind Politik und Verwaltung. Wir wurden immer mehr überzeugt davon, dass wir die Art, wie wir zu Entscheidungen kommen und diese dann in der Breite umsetzen, verbessern müssen. Das betrifft die großen Prozesse, wie zum Beispiel Gesetzgebung, und auch die kleinen, wie Antragsverfahren bei kommunalen Behörden. Nur, wenn wir digitaler, anpassungsfähiger und schneller werden, können wir den großen Herausforderungen der nächsten zehn Jahre und darüber hinaus gerecht werden. Wir wollen Neustaat und sein Plädoyer für einen effektiven, modernen Staat zu einem Versprechen der Union machen.
Die Co-Autoren von Neustaat sind neben Kolleginnen und Kollegen der Fraktion auch Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen von Verwaltung über Bildung bis hin zu Künstlicher Intelligenz, die im Entstehungsprozess mitgewirkt haben und die die Ziele von Neustaat mittragen.
Nadine Schön
37 Jahre alt, seit 2009 Abgeordnete im Deutschen Bundestag für den Wahlkreis St. Wendel (Saarland), seit 2014 Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion für die Bereiche „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“, sowie „Digitale Agenda“
Foto: Anja Pütz
Die Digitalisierung verändert unser Leben in nie dagewesener Form. Doch Europa und Deutschland liegen in den wichtigsten Zukunftsthemen zurück. Im Buch schlagen Sie daher beispielsweise mehr staatliche Anreize für Wagniskapital vor. Wie schaffen wir es für eine neue Gründerzeit in Deutschland und Europa zu sorgen?
Nadine Schön & Markus Uhl: Wenn man an große, erfolgreiche deutsche Unternehmen denkt, kommen einem meist traditionelle, Jahrzehnte- manchmal Jahrhunderte bestehende Unternehmen in den Sinn: Daimler, Siemens, BASF, usw. – alles Unternehmen, die um die 100 Jahre alt oder gar älter sind. In den USA denkt man an Google, Amazon, Facebook, in China an Alibaba und Tencent – allesamt ca. 30 Jahre alt oder jünger, allesamt Digital- und Technologieunternehmen, deren Wert und Marktanteil explosiv gewachsen ist. Deutschlands Wirtschaft hat sehr große Stärken, aber mit dieser Dynamik können wir im Moment nicht mithalten.
Dabei ist unsere Forschung und Entwicklung, auch im Digitalbereich, absolute Weltspitze. Woran es häufig scheitert, ist die erfolgreiche Übersetzung in Geschäftsmodelle und schnell wachsende Unternehmen. Unsere Aufgabe als Politik ist es, die richtigen Rahmenbedingungen für junge Unternehmen zu schaffen. Das tun wir auf Bundesebene gerade mit dem Zukunftsfonds in Höhe von zehn Milliarden Euro staatlichem Kapital, das mit privatem Kapital – auch von institutionellen Anlegern, Pensionsfonds oder Stiftungen – verstärkt wird. In Neustaat schlagen wir zudem Universitätsfonds vor sowie ein innovatives Element der Mitarbeiterbeteiligung mit einer eigenen Gesellschaftsform und einem speziellen Mitarbeiterbeteiligungsfonds. Letztlich ist aber auch beim Thema Startups entscheidend, dass wir als Staat und Behörden dem schnellen Tempo der Start-Ups gerecht werden. Gründer und Gründerinnen haben weder die Zeit noch die Ressourcen, sich mit überkomplexen und langwierigen Genehmigungsverfahren auseinanderzusetzen. Da müssen wir bedarfsgerechter denken.
Große Bedeutung lassen Sie auch der sogenannten Blockchain Technologie zukommen. Um was handelt es sich dabei und warum kann sie Prozesse so stark verändern?
Nadine Schön & Markus Uhl: Die Blockchain Technologie hat das Potenzial, die nächste große Welle der Digitalisierung zu treiben. Vieles steckt noch in den Kinderschuhen und es ist auch noch nicht klar, ob sich die Technologie für eine günstige, flächendeckende Nutzung eignet, es gibt also noch viele offene Fragen.
Sehr vereinfacht gesprochen, handelt es sich bei Blockchain um eine neue Architektur für die Übertragung von Informationen und/oder Werten. Dabei werden die Daten nicht über einen zentralen Knotenpunkt geschickt, sondern auf vielen verschiedenen Geräten verschlüsselt notiert. Diese Notierung führt Buch über Änderungen. Sie werden dadurch fälschungssicher, weil eine nachträgliche Änderung der Information oder des Wertes in der Buchführung auf vielen verschiedenen Geräten auffällt.
Der große Sprung besteht potenziell darin, dass dadurch die Verifizierung über einen Mittelsmann überflüssig werden kann. Eine Bank, die Überweisungen bestätigt und für sie bürgt, ein Notar, der einen Vertrag verifiziert – das sind klassische Mittelsmannfunktionen.
Das ist für uns eine große Chance, denn Deutschland ist auch hier in der Entwicklung bei den besten. Aber wir müssen als Politik schon jetzt Antworten für die offenen Fragen bezüglich der Regulierung finden, damit in diesem Bereich die Unternehmen der nächsten Welle aus Deutschland kommen.
Markus Uhl
41 Jahre alt, Partei: CDU, seit 2017 Abgeordneter im Deutschen Bundestag für den Wahlkreis Homburg (Saarland), seit 2017 Generalsekretär der CDU Saar
Foto: Anja Pütz
Ein Kapitel Ihres Buches trägt den Titel „Daten für alle, statt Daten für die Kraken“. Warum sind Daten im Zuge der Digitalisierung so wichtig und wie können wir den Datenschutz zu unser aller Nutzen gestalten?
Nadine Schön & Markus Uhl: Wir generieren als Nutzer immer mehr Daten. Gleichzeitig sind Daten mittlerweile eine der wichtigsten Grundlagen für Wertschöpfung und Wachstum. Das gilt nicht nur, aber natürlich vor allem für Digitalunternehmen. Die Bedeutung von Daten wächst also immer weiter und immer schneller.
Unsere Antwort kann dabei nicht sein: Wir erschweren das Sammeln und Verarbeiten von Daten so stark wie möglich. Unsere Antwort ist stattdessen: Wir geben den Nutzern die Werkzeuge in die Hand, selbst über ihre Daten zu entscheiden.
Wir wollen weg vom blinden Akzeptieren der AGB von Facebook, Google, Apple und Co. hin zu einem selbstbestimmten Umgang mit Daten – zu Datensouveränität. Wir wollen weg von der Datensparsamkeit, hin zur Datensorgfalt.
Ein zentrales Thema der heutigen Zeit ist, natürlich, der Klimaschutz. Wie können die Vorschläge im Buch dazu beitragen, dieses Problem lösen?
Nadine Schön & Markus Uhl: Zum einen wird die Energiewende und Verkehrswende, die wir für die erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels brauchen, ohne digitale Werkzeuge und Innovationen nicht gelingen können. Unsere Maßnahmen aus Neustaat schaffen ein effektiveres Ökosystem für Innovation, die neuen Schub in die Nachhaltigkeit der Wirtschaft und im Privaten bringt.
Darüber hinaus ist auch beim Thema Umwelt und Klima wichtig, dass wir als Staat schneller und besser werden. Das betrifft zum Beispiel den Ausbau erneuerbarer Energien und von Ladesäulen für Elektro-Fahrzeuge. Hinter solchen Initiativen stehen zu häufig Prozesse, die so analog, unflexibel und langsam sind, dass sie unsere Ziele gefährden – von der Beantragung über den Bewilligungsprozess für ein Bauprojekt bis hin zum Rechtsweg, wenn Bürgerinitiativen vor Ort gegen ein Projekt klagen.
Wenn wir in diesen Bereichen schneller und innovativer werden, hilft das der Bekämpfung des Klimawandels mehr als jede grüne Sonntagsrede.
Viele Menschen kennen die lange Wartezeit beim Beantragen eines neuen Personalausweises. Was muss passieren, dass Verwaltungsprozesse digitaler und effizienter werden?
Nadine Schön & Markus Uhl: Wir brauchen einen Kulturwandel in der Verwaltung. Das lässt sich nicht mit einer Maßnahme von oben diktieren, sondern ist ein Prozess. Viele gute Initiativen wie die Digitalisierung aller Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes sind dabei wichtige Schritte. Letztlich bedeutet eine moderne Verwaltung aber mehr als nur eine digitale Beantragung von Ausweisen oder Führerscheinen. Das haben viele Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen erkannt und in vielen Bereichen bewegt sich schon enorm viel. Wir wollen mit Neustaat eine Radikalkur des Staates, über alle Ebenen hinweg.
Die Herausforderungen beginnen damit, dass die Einstellungsprozesse und Jobprofile der Verwaltung attraktiver für die vielen jungen, innovativen Köpfe werden. Es geht weiter damit, dass in der Verwaltung projektbasierter und häuserübergreifender gearbeitet werden soll. Die Digitalisierung gibt uns hierfür die nötigen Werkzeuge an die Hand. Viele Prozesse können vollständig automatisiert, viele andere stark vereinfacht werden.
Das interessante dabei ist: Auch die Beschäftigten selbst sind sehr offen für solche Veränderungen. In vielen Gesprächen mit Vertretern aus der Praxis wurde das immer wieder deutlich: Viele sind motiviert und gleichzeitig selbst frustriert, wie langsam und mühselig die Arbeit oft ist. Unsere Überzeugung, ist: An der Verwaltung ist vieles faul, aber nicht die Beamten.
Sie sind beide Abgeordnete aus dem Saarland. Gibt es Kritikpunkte, die Sie in ihrem Buch anführen, die im Saarland bereits besser laufen?
Nadine Schön & Markus Uhl: Das Saarland denkt in einigen Bereichen bereits sehr fortschrittlich. Das betrifft die Wissenschaft mit dem Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken, aber auch die Verwaltung. Mit Ammar Alkassar haben wir einen sehr kompetenten und innovativen Chief Information Officer (CIO) in der Landesregierung, der auch bei der Ausarbeitung des Buches beteiligt war. Einzelne Vorschläge, zum Beispiel zur Neugestaltung der Ausarbeitung von Gesetzen hat er bereits in die Wege geleitet. Im Saarland beginnt der Neustaat also schon zu wirken.
Wenn Sie beide die Wahl hätten und jeweils drei Punkte aus dem Buch sofort umsetzen könnten. Welche wären das?
Nadine Schön & Markus Uhl: Wir arbeiten an der Umsetzung der ersten Punkte und konnten ganz aktuell in den Haushaltsberatungen der letzten Wochen konkret unseren Vorschlag Nr. 1 „die Zukunftslobby“ und unseren Vorschlag Nr. 88 „der Innovationshub“ umsetzen. Die „Zukunftslobby“ bringt neue und wichtige Akteure der Zukunft, wie z.B. Forscher, Entwickler und Gründer frühzeitig mit an den politischen Verhandlungstisch. Hierfür stehen 1,5 Millionen Euro zu Verfügung. Der „Innovationshub“ bzw. die Transformationseinheit wird beim Bundesinnenministerium verankert und sorgt dafür, dass eine neue Kultur in die Verwaltung Einzug hält. Sie fördert agiles Arbeiten und eröffnet Experimentier- und Kollaborationsräume, die als kleine Schnell-Boote neben dem großen Dampfer Bundesverwaltung schwimmen. Ziel ist die digitale Transformation der Verwaltung schneller voran zu treiben. Unter dem Titel Verwaltungsdigitalisierung hat der Haushaltsausschuss 6,5 Millionen Euro bewilligt.
- NEUSTAAT – Politik und Staat müssen sich ändern. 64 Abgeordnete & Experten fangen bei sich selbst an – mit 103 Vorschlägen
- Hardcover, 320 Seiten
- erschienen im Juni 2020
- FinanzBuch Verlag
Beitragsfotos: Anja Pütz