Das Ökosystem der Medienlandschaft in Deutschland ist intakt. Trotzdem gibt es Verbesserungsbedarf.
Die Tatsache, dass wir Menschen in Deutschland das Recht haben, uns über die Plattformen unserer Wahl zu informieren, geht allein auf das Grundrecht der Pressefreiheit zurück. Es erlaubt uns selbst, fast alles zu publizieren, unsere Meinung kundzutun und im Umkehrschluss auch alle Medien zu konsumieren. Der Journalismus sollte dabei verschiedene Kriterien erfüllen, um den Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich aus den Publikationen eine eigene Meinung zu bilden. Nur so kann die sogenannte vierte Gewalt ihre Macht auch konstruktiv nutzen und gesellschaftliche Debatten anregen. Debatten gehören zur Demokratie und auch wenn sie lang und anstrengend sind, führen sie zur Lösung bestehender Probleme, die es dann von der Exekutive umzusetzen gilt. Doch wie sieht eine Debatte aus, wenn es nur ein Medium gibt, nur ein Staatsfernsehn und nur einen Volksempfänger? Kann sie überhaupt existieren?
Die Abwesenheit von Medienpluralismus, man könnte es „Mediensingularismus“ nennen, führt dazu, dass Probleme mit mehreren möglichen Lösungen gar nicht mehr zu Debatte stehen können. Die Gesellschaft und ihre Meinungen werden aus der Demokratie ausgeschlossen. Das kann man dann aber nicht mehr als „Herrschaft des Volkes“ bezeichnen, der Widerspruch ist zu groß.
Bernd Holznagel und Jan Kalbhenn vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht haben im Zuge eines Monitorings zum Thema Medienpluralismus im digitalen Zeitalter den Medien-Pluralismus-Monitor (MPM) auf Deutschland angewandt. Der MPM ist ein wissenschaftlicher Ansatz, die „Gesundheit des Medien-Ökosystems“ in der Europäischen Union, Albanien und in der Türkei ganzheitlich zu prüfen und Bedrohungen für den Medienpluralismus und die Medienfreiheit darzustellen. Der Monitor stammt vom 2012 gegründeten Zentrums für Medienpluralismus und Medienfreiheit (CMPF), welches dem Europäischen Hochschulinstitut und dem „Robert Schuman Centre for Advanced Studies“ angehört. Das CMPF wird von der EU mitfinanziert. Im Monitor werden die vier wichtigsten Aspekte, welche die Medienfreiheit und den Medienpluralismus beeinflussen, betrachtet. Dazu zählen „grundlegender Schutz“, die „Marktvielfalt“, die „politische Unabhängigkeit“ und die „gesellschaftliche Inklusion“. In Prozentsätzen wird jeweils angegeben, wie groß die Gefahr für den jeweiligen Aspekt sowie insgesamt in einem Land ist, dabei besteht von 0%-33% ein geringes Risiko, von 34%-66% ein mittleres Risiko und von 67%-100% ein hohes Risiko.
Insgesamt ist das Ökosystem der Deutschen Medienlandschaft in Takt. In fast allen Bereichen des MPM besteht nur ein niedriges Risiko. Die Außnahme bildet dabei die Marktvielfalt und die gesellschaftliche Inklusion, dort ist das Risiko mittelhoch. Doch bei Letzterem zeigt sich eine positive Entwicklung. Vor allem der Zugang von Minderheiten zu Medien hat sich verbessert. Ähnliche, wenn auch nicht so starke Veränderung lässt sich beim Zugang zu Medien von Menschen mit Behinderung beobachten. Insgesamt sank das Risiko, dass das Ökosystem der Medienlandschaft durch mangelnde gesellschaftliche Inklusion in Schieflage gerät von 38% auf 35%. Die Gefahr durch nicht-ausreichende politische Unabhängigkeit der Medien steigerte sich im Jahr 2017 auf 18%, allerdings ist die Zahl im Beobachtungszeitraum 2018-2019 wieder gesunken. Genauso verhält es sich bei der Gefahr durch fehlenden grundlegenden Schutz von Journalist:innen und Medienschaffenden. Der dazugehörige Wert stieg von 13% 2016, auf 22% im Jahr 2017 und sank dann wieder auf 14% im Zeitraum 2018 bis 2019.
Doch die Gewalt gegen Medienschaffende stieg im Pandemiejahr 2020 drastisch an.
Nach Kenntinissen der Bundesregierung gab es von Beginn des Jahres bis zum 23. Dezember 2020 insgesamt 252 gewaltsame Übergriffe auf Medienschaffende in Deutschland, 144 davon waren politisch rechts motiviert, 42 links. Berichten der SZ zufolge, zählte man 2019 “nur” 104. Der Deutsche Journalistenverband bestätigte der SZ, dass es 2020 auch häufig Übergriffe auf die sogannante “Lügenpresse” bei Demonstrationen der seit ein paar Tagen vom Verfassungsschutz beobachteten “Querdenken”-Bewegung gegeben hat, die eine Weltverschwörung wittern und die Coronamaßnahmen für überflüssig halten.
Man sollte erwarten können, dass die von der Berichterstattung geprägten Debatten rund um das Coronavirus eine Wissenschaftliche ist. Demzufolge sollte auch der Wissenschaftsjournalismus gut aufgestellt sein, um über Fakten aus der Medizin und Epidemiologie konstruktiv Auskunft zu geben. Dem B5 Podcast “Das MedienMagazin“erläutert Alina Schadtwinkel, die Online-Redaktionsleiterin des Wissenschaftsmagazins “Spektrum”, dass im Laufe des Beginns der Pandemie immer häufiger Methoden des Politikjournalismus auf den Wissenschaftsjournalimus gebraucht worden seien. Das hat zur Folge, dass das Abwägen von Pro und Kontra zu einem Thema plötzlich auch bei wissenschaftlichen Themen angewendet wurde. Hierbei wurde Interpretationsspielraum genutzt, der in der faktenbasierten Wissenschaft eigentlich gar nicht vorhanden ist. Auch Corinna Hennig, die den Podcast “Coronavirus-Update” leitet, kritisiert , dass Journalist:innen aller Fachrichtung begonnen hätten, über das Coronavirus zu berichten, “ohne das spezielle Handwerkszeug” zu haben, dass “für Wissenschaftsthemen wichtig sei”, so “Das MedienMagazin”. Den Wissenschaftsjournalismus in der Pandemie beschreibt Annette Leßmöllmann in einem Artikel folgendermaßen: “Es ist eigentlich Gesundheitsjournalismus, “gewürzt” mit Krisen- und Risikojournalismus. Kennzeichen dieses Journalismus ist, dass er nicht nur informiert, sondern Entscheidungsgrundlagen legen kann oder Ratschläge erteilt”. Aus diesem Grund fordert sie die Stärkung des Wissenschaftsjournalismus auch außerhalb der Pandemie, durch welche der Bevölkerung, aber auch der Medien bewusst geworden ist, dass die Wissenschaft auf jeden Bereich des Lebens Einfluß hat und nicht nur auf die Gesundheit.
Wenn wir Annette Leßmöllmann folgen, gilt es also Samen für den Wissenschaftsjournalismus zu pflanzen, damit dieser gedeien kann und tiefer verwurzelt ist. So können wir darauf hoffen, in der nächsten Pandemie direkt zu wissen, wer für uns die wichtigen und richtigen Informationen bereit hält, damit wir und die Politik schneller wissen, worauf es ankommt.
Beitragsbild: Matt Chesin / unsplash.com