Countdown zur US-Wahl

Es ist soweit: Die Vereinigten Staaten wählen ihren Präsidenten. Dazu wird über das komplette Repräsentantenhaus und ein Drittel der Sitze im Senate abgestimmt. Ein letzter Überblick.

Es ist soweit: Die Vereinigten Staaten wählen ihren Präsidenten. Dazu wird über das komplette Repräsentantenhaus und ein Drittel der Sitze im Senate abgestimmt. Seit der letzten Analyse der Rennen im September ist im politischen Washington viel passiert: Die linksliberale Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg erlag ihrem Krebsleiden, woraufhin Donald Trump die die als konservativ geltende Juristin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin für ihre Position am Obersten Gerichtshof nominierte. Der Senat bestätigte sie in einem Eilverfahren, sodass Konservative im Supreme Court jetzt eine Mehrheit von 6 zu 3 Stimmen haben. Donald Trump und Joe Biden lieferten sich in zwei TV-Debatten jeweils einen hitzigen Schlagabtausch. Die Corona-Krise ist immer noch nicht unter Kontrolle – zuletzt erkrankten täglich 100.000 US-Amerikaner täglich an Covid-19, auch Präsident Trump musste sich wegen einer Covid-19-Infektion zeitweise ins Krankenhaus begeben. 

Dennoch blieb das Rennen über die letzten Wochen, sowie schon die vorherigen Monate, ausgesprochen stabil. Im nationalen Umfragedurchschnitt liegt Ex-Vizepräsident Biden zurzeit 8,5 Prozentpunkte vor Donald Trump (im September waren es 7) – Hillary Clinton lag kurz vor der Wahl im Schnitt 3 Punkte vorne. Doch am Ende wird die Wahl in den einzelnen Bundesstaaten entschieden. Wie also sieht Trumps Weg zum Sieg aus? Und wie steht es um die beiden Parlamentskammern?

Der Stand der Präsidentschaftswahlen

Im September lag Joe Biden noch bei 279 Wahlleuten und Donald Trump bei 125 Stimmen, 135 Wahlleute waren dem „offenen“ Lager zuzuordnen. Für die endgültige Wahlprognose erhalten auch die zuletzt gänzlich „offenen“ Staaten eine Einstufung. Wie bei den letzten Analysen werden dabei aktuelle Umfragen, vergangenes Wahlverhalten sowie – sofern verfügbar – Daten für das early voting für die Einstufungen einbezogen.

Joe Biden hat sehr gute Chancen, im Januar als 46. US-Präsident vereidigt zu werden. In den zuletzt offenen Swing StatesGeorgia, North Carolina, Florida und Arizona führt er in den meisten Umfragen, im Schnitt liegt er dort 1,5 bis 3 Punkte vorne (gleiches gilt für den 2. Kongresswahlkreis in Maine). Es bahnt sich eine Rekordwahlbeteiligung an – Besonders in den Vorstädten, die in den letzten Jahren zunehmend „blauer“ wurden, haben viele Wähler ihre Stimme bereits abgegeben. Das könnte einen traditionell republikanischen Bundesstaat zum Kippen bringen: In Texas wurden bereits mehr Stimmen frühzeitig abgegeben als insgesamt im Jahr 2016. Vor allem in suburbanen Regionen, in denen die Demokraten 2018 (teilweise überraschend) gut abschnitten wie den Countys um Dallas, Houston und Fort Worth, wurde ein Rekordzuwachs an Wählenden verzeichnet. Es spricht einiges dafür, dass Joe Biden als erster Demokrat seit 1976 den „Lone Star State“ gewinnen könnte. 

Joe Biden konnte darüber hinaus seinen Umfragevorsprung in Minnesota, Michigan, Wisconsin und New Hampshire ausbauen. In allen vier Staaten liegt er mit mindestens acht Prozentpunkten vorne und über der Marke von 50 Prozent, was sehr entscheidend ist: Hillary Clinton hatte 2016 zwar beispielsweise in Wisconsin einen ähnlichen Vorsprung wie Biden, allerdings lag sie unmittelbar vor der Wahl im Schnitt bei circa 47 Prozent. Das kam dem Endergebnis sehr nahe, sehr viele bis zum Schluss unentschiedene Wähler stimmten dann allerdings für Donald Trump, der damit knapp den Staat gewann. Selbst wenn die Umfragen in allen vier Staaten so stark abweichen würden wie 2016, würde Donald Trump sie dennoch alle verlieren.

Joe Biden dürfte 252 Elektorenstimmen sicher oder wahrscheinlich gewinnen und wäre damit 18 Stimmen von der absoluten Mehrheit im Wahlmännergremium entfernt. Kommt es zu keiner größeren Überraschung, wie beispielsweise ein Verlust der oben genannten wahrscheinlich demokratisch wählenden Staaten, dann ist Trumps Weg zum Sieg äußerst schmal: Er muss in den leicht zu den Demokraten tendierenden Bundesstaaten Florida, Texas, Pennsylvania, Georgia und North Carolina siegen (ohne einen der „rot“ wählenden Staaten wie Iowa zu verlieren), um auf 267 Stimmen zu kommen. Selbst dann müsste dann immer noch Nevada oder Arizona holen, um sich im Amt zu halten. Das ist zwar nicht unmöglich, aber äußerst unwahrscheinlich. 

Der Stand der Senatswahlen

Das Rennen um den Senat ist fast spannender als das Rennen um die Präsidentschaft, da der Ausgang deutlich unberechenbarer ist. In den letzten Wochen kristallisierten sich bei den meisten engen Rennen mehr oder eindeutig Favoriten heraus: Die Demokraten dürften wohl die Sitze in North Carolina und Maine hinzugewinnen, die Republikaner können wahrscheinlich ihre Sitze in Iowa und Montana verteidigen. In Alaska, South Carolina und Michigan wurde das Rennen zuletzt knapper, allerdings sieht es momentan so aus, als könnten die dortigen Amtsinhaber ihre Sitze jeweils behalten. Die Demokraten lägen damit bei 50 Sitzen, die Republikaner bei 48. 

Bei zwei Sitzen bleibt die Wahl dennoch gänzlich offen: In Georgia findet sowohl eine reguläre als auch eine Nachwahl statt und es könnte sein, dass bis Januar nicht klar ist, wer den Staat in der kommenden Legislaturperiode im Senat repräsentieren wird. Erreicht kein Kandidat am Ende 50 Prozent der Stimmen, so kommt es zu einer Stichwahl im Januar. 

Beim Rennen um den regulär zu wählenden Sitz holte der Demokrat Jon Ossoff zuletzt auf, ohne allerdings im Schnitt über 50 Prozent zu liegen. Im September schien es noch so, als könnte es beim nachzuwählenden Sitz zu einer Stichwahl mit zwei Republikanern kommen – Die Wahl findet als offene Vorwahl mit Kandidaten aller Parteien statt, eine sogenannte Jungle Primary. Inzwischen stellte sich das gesamte Parteiestablishment der Demokraten hinter den afroamerikanischen Pfarrer Raphael Warnock, der in der Stichwahl aller Voraussicht nach entweder gegen die amtierende Senatorin Kelly Loeffler oder den Kongressabgeordneten Doug Collins antreten wird.

Da das Rennen in vielen Staaten relativ knapp ausgehen dürfte, gibt es eine recht große Schwankungsbreite an möglichen Ergebnissen. Kommt es zu einer „blauen Welle“, also einem starken Ergebnis für die Demokraten, dann könnten diese bis zu 58 Sitze hoffen. Läuft es gut für die Republikaner, dann könnten sie auf bis zu 53 Mandate im Senat kommen.

Der Stand der Wahlen des Repräsentantenhauses

Bislang blieben die Wahlen um das US-Repräsentantenhauses weitestgehend unerwähnt. 2018 erreichten die Demokraten im „House“ 235 Mandate und die Republikaner 200. Es ist fast sicher, dass die Demokratin Nancy Pelosi im Januar als Sprecherin der Parlamentskammer wiedergewählt wird. Die Demokraten müssen zwar einige Wahlkreise verteidigen, in denen Donald Trump 2016 siegte, allerdings sind die Republikaner vor allem in suburbanen Kongresswahlkreisen (z.B. in Texas, Pennsylvania oder Georgia) in der Defensive. Die Demokraten dürften wahrscheinlich 225 – 250 Sitze in der nächsten „House“-Wahlperiode erreichen, die  Republikaner 185–210 Mandate.

Bedingt durch die Corona-Pandemie ist absehbar, dass besonders viele Wähler ihre Stimmen per Brief oder frühzeitig in Person abgeben. In vielen Staaten werden Briefwahlstimmen erst nach dem Wahltag ausgezählt, sodass bei einigen Wahlen erst nach Tagen feststehen könnte, wer eigentlich gewonnen hat (2018 dauerte es beispielsweise eine Woche, bis klar war, wer die Senatswahl in Arizona gewann). Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die verschiedenen Rechtslagen bei der Briefwahl: In einigen Bundesstaaten muss der Wahlzettel am Wahltag bereits im Wahlbüro angekommen sein, in anderen reicht es, wenn der Brief am Wahltag frankiert wurde. Viele Stimmen könnten am Ende wegen solcher Formalien für ungültig erklärt werden.

Eine grobe Orientierung, wer am Ende zumindest die Präsidentschaft gewinnen dürfte, bietet Florida: Der „Sunshine State“ zählt traditionell sehr schnell aus. Gewinnt Joe Biden den Staat, dann hat Donald Trump so gute wie keine Chance mehr auf einen Wahlsieg. Siegt Donald Trump in seiner Wahlheimat, dann ist das Rennen knapper als erwartet. Und ist das Ergebnis extrem knapp, steht den USA wie im Jahr 2000 wohl eine wochenlange Hängepartie bevor.

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