Tiefkühlpizza, Prüfungen und Wir. – Die Krise im Kopf

Blumenwiese
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Aufgekratzt wache ich auf, schaue in den Kühlschrank, stelle fest, dass zwischen alten Joghurtbechern und Resteessen noch nichts Neues dazugekommen ist. Die Welt ist langsam und ich bekomme nichts mehr von ihr mit. Da schwappen minütlich Nachrichten über eine Krise in meine Benachrichtigungen. Aber ich bin hier, stehe manchmal barfuß im Gras, lege meinen Kopf in den Nacken und sehe den Frühling. Sonst habe ich schon lange nichts mehr gesehen. Nichts Neues. Alles Ansehnliche ist verbraucht, weil ich es die letzten Wochen schon zu oft, zu lange angestarrt habe.

Was macht diese Krise mit mir, mit meinen Freunden, mit meiner Schule und was tut meine Schule dafür, dass es nicht schlimmer wird? Wichtiger: Wie schaffen wir es selbst noch weitere Wochen oder Tage, hier, das für jeden ein anderes hier ist, dass aus Alleinsein nicht so viel Einsamsein wird? Wie schaffen wir es wieder in den anrollenden Prüfungsalltag?

Struktur?

Struktur ist dabei etwas, das wir wohl alle schon gehört haben. Aber wie die Autorin und Journalistin Kathrin Weßling sagt: “Struktur bedeutet für jeden Menschen etwas anderes und manchmal geht’s auch einfach nur darum, sich selber zu akzeptieren.” Man sollte auf sich selbst achten, um mental nicht zu sehr ins Schlittern zu kommen und vielleicht weniger auf das, was alle anderen mit ihrem Selbst machen. Besonders wir, Generation Y oder jünger, vergessen das zwischen den buchstäblich gefilterten Leben unserer Freunde. Gerade erleben wir aber alle zusammen ungefiltertes Neuland. Und um das mal so ungeschönt, hässlich, zu teilen oder anderen darin Mut zu machen, hat sich ein Lehrer des Maxilian-Kolbe-Gymnasiums in Wegberg, NRW, etwas für seine Schule überlegt.

Ihr Schulen könnt auch was tun

Guido Knippenberg schuf ein digitales “Corona-Buch der MKG-Community”, in dem er in der bereits vorhandenen Schulcloud einen neuen Ordner anlegte, der für alle Schüler, Lehrer und Eltern der Schule einsehbar ist. Jede kreative Textform sei willkommen und als Anreiz gäbe es später auch Preise für die eingereichten Poetry Slams, Gedichte, etc. Sofort gab es die ersten Beiträge. Sophie Kuchenbecker fragt sich zum Beispiel, ob Corona später nichts weiter sein wird als “ein Aufhänger für ein mittelmäßiges, unoriginelles Klopapier und Spaghettiwitz” und hält fest, was für sie bleibt: “Dankbarkeit für die Freiheit”, die plötzlich doch nicht mehr so selbstverständlich ist, wie man dachte. Oder eben alles als “Zwangsentschleunigungsmöglichleit” zu sehen, wie Nick Czorniczek.

Die psychische Krise

Bibliothek, düster
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Entschleunigung. Eine Pause. Was aber, wenn es einem jetzt schlimmer geht? Wir Schülerinnen und Schüler sitzen hier zu Hause und müssen vielleicht Angst vor plötzlicher Arbeitslosigkeit in der Familie haben, davor, dass sich unter unserem Dach angestaute Wut entleert und uns trifft, wir verlieren Angehörige, sind mit einer psychischen Erkrankung allein, von der wir uns kaum noch ablenken können. Es überrascht wenig, dass der leitende Arzt der Forensischen Psychiatrie am Psychiatrischen Zentrum Appenzell Ausserrhoden Dr. med. Thomas Knecht in einem Interview warnt: “Isolation ist […] der größte Risikofaktor”, durch sie könne es sogar vermehrte Suizide geben.

Also? Helfen. Sich und allen anderen

Also dagegenstemmen, aushalten. Wie? Durch Resilienz. Die Fähigkeit, Extremsituationen zu bewältigen, sie an einem abperlen zu lassen wie das Wasser aus der Brause morgens in der Dusche. Gut, dass wir das lernen können. Dabei ist Akzeptanz wichtig, das okay finden, was du nicht ändern kannst, Covid-19 zum Beispiel. Während du erkennst, was du in deinem Leben austauschen kannst. Die Tiefkühlpizza, die du heute zu Mittag essen willst oder deine morgige To-do-Liste. Psychologin Pia Kabitzsch schlägt einem fünf Dinge vor: Bewegung (man muss keinen Marathon laufen, mit dem Rad einkaufen fahren oder zehn Minuten spazieren gehen hilft schon). Meditation. Kontakte halten. Medien Detox. Und natürlich: Struktur. So auch Jocelyn Dun, die für eine Mars-Simulation acht Monate in Isolation verbrachte. In einem ZEIT Interview sagte sie außerdem, bestimmte Sachen müssen priorisiert werden, Schlaf insbesondere. Nachts wieder schlafen, anstatt Serien zu suchten, um den Hormonhaushalt nicht negativ zu beeinflussen. Meditation gerade angesprochen empfiehlt sie konkret die angstreduzierende Atemtechnik 4 / 7 / 8: vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden den Atem anhalten, acht Sekunden ausatmen.

Bett, Licht fällt durch ein Fenster
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Zu guter Letzt noch ein Weg, der helfen könnte: Ein wichtiger Faktor für Glück ist, den Sinn im täglichen, verlebten Alltag zu finden. Gerade das, was jetzt wegfällt. Um dieses eudaimonische Glück zu finden, stellt Shiri Lavy, Dozentin für Psychologie, diese Fragen: Worauf macht uns das (persönlich oder global) aufmerksam, was müssen wir also verändern? “Nach einem Trauma erzählen Menschen manchmal, dass sie ihr Leben anders leben, erkennen, was und wer ihnen wichtig ist”. Ein Letztes, das sie angesprochen hat: “In unserer Gesellschaft gibt es einen hohen Druck, immer glücklich zu sein, maximal viele Erfahrungen zu machen. Und jetzt ist es erlaubt, nicht so glücklich zu sein.”

Es gibt unzählige Wege, die uns gerade helfen können – oder auch nicht. Heute haben wir die Gelegenheit das einfach mal zu probieren und bestenfalls erprobte Wege mit in das Post-Corona-Leben, den alten Alltag, mitzuschleifen. Letztendlich sind wir es ja, die uns helfen müssen, sowie die anderen daran sind, uns dabei zu unterstützen.

Gerade auch, wenn die Schulen manche von uns wieder hinzerren wollen, in dieser Situation noch ein bisschen Druck dazuschütten und uns, als wäre kaum etwas passiert, dass sich nicht mit Mundschutzen abkleben lässt, unsere Prüfungen absolvieren lassen.

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