Die Grundidee des biologischen Wirtschaftens besteht schon seit knapp 100 Jahren. Heutzutage sind Bioprodukte nicht mehr aus den Supermarktregalen wegzudenken. Wie ist das Konzept entstanden, was hat es mit dem Begriff “Bio” auf sich und wie schätzen Bio-Marken ihre Zukunft ein?
Das Konzept des bio-dynamischen Anbaus entstand in einer Zeit, in der durch immense Fortschritte in der Entwicklung neuer Technologien und bahnbrechenden Vorstößen in den Naturwissenschaften ein scheinbar grenzenloses Wachstum möglich wurde. Zu Beginn der 1920er Jahre gab der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner innerhalb einer Vortragsreihe die Impulse, aus denen sich bis heute das Konzept des biodynamischen Wirtschaftens ableitet. Lange Zeit stellte dieses Konzept einen Gegenentwurf zu dem auf Wachstum und Technologisierung beruhenden Zeitgeist dar.
Gut hundert Jahre später ist die Begrifflichkeit „Bio“ sehr differenzierter zu betrachten. „Bio“ beziehungsweise „Öko“ sind gesetzlich geschützte Begriffe. Dementsprechend gekennzeichnete Produkte müssen also auch biologisch erzeugt worden sein. Allerdings gibt es da Unterschiede. Zum Beispiel gelten für Produkte, die mit dem Biosiegel der EU gekennzeichnet sind, andere Mindeststandards, als für solche, die zusätzlich zu dem Siegel der EU noch das eines Anbauverbandes wie Naturland oder Bioland tragen. Erzeuger die einem Anbauverband angehören müssen in vielen Bereichen strengere Kriterien und Prinzipien beachten, als es die Richtlinien der EU vorschreiben.
Auf die Frage, warum die biologische Landwirtschaft überhaupt so wichtig ist, gibt es diverse Antworten. In Bezug auf das Klima spielt die besondere Humuswirtschaft eine entscheidende Rolle. Zum einen können durch den Verzicht von energieintensiven Kunstdüngern sowie eine insgesamt sparsamere Düngung der Böden, die dadurch weniger Distickstoffoxid freisetzen, Treibhausgase eingespart werden. Durch organische Dünger wie Mist, Kompost oder Mulch gelangt Kohlenstoff in den Boden, der genauso wie vielfältige Fruchtfolgen das Bodenleben positiv beeinflusst. Dadurch sind Bio-Böden humushaltiger und können Wasser besser speichern, was die Pflanzen gegen vermehrt auftretende Wetterextreme, wie Hochwasser aber auch Dürreperioden besser schützt. Insgesamt ist der biologische Gedanke sehr viel umfassender und bezieht sich unter anderem auf die Bereiche der artgerechten Tierhaltung, der Förderung der Artenvielfalt sowie einem ressourcenschonenden Wirtschaften, um Menschen eine qualitative Zukunft bieten zu können.
Soweit die ökologische Seite, doch die Erzeugnisse müssen zu den Verbrauchern gelangen. Längst erhält man Bioprodukte nicht mehr nur auf Hofläden, Märkten oder in Naturkostläden. Immer mehr große Handelsketten nehmen Bioprodukte in ihr Sortiment auf oder etablieren eigene Biohandelsmarken. Außerdem entstehen Kooperationen zwischen Handelsketten und Anbauverbänden, in diesem Zusammenhang stehen auch die Zusammenarbeit von „Naturland“ mit der Supermarktkette „Rewe“, sowie die Kooperation zwischen „Bioland“ und „Lidl“.
Die Tatsache, dass bereits jetzt über 50 Prozent aller biologisch erzeugten Lebensmittel über konventionelle Händler vertrieben werden, verdeutlicht die Zukunftsperspektive für diesen Absatzmarkt. Das sagt Dr. Christian Eichert, Geschäftsführer des Landesverbandes Baden-Württembergs von „Bioland“ gegenüber Der Jungreporter. Das Erschließen neuer Absatzmärkte, die dringend notwendig für die Ökologisierung der Landwirtschaft sind, ist die größte Chance derartiger Kooperationen. „Konventionelle Betriebe können nur dann sinnvoll auf Bio umstellen, wenn die Betriebe ihre Bio-Ware anschließend auch als solche verkaufen können: ohne Markt, keine Umstellung“, sagt Markus Fadl, Pressesprecher von „Naturland“ im Gespräch mit Der Jungreporter. Wenn es das Ziel sein soll, den Konsum von Bio-Lebensmitteln in der Mitte der Gesellschaft zu verankern, wäre es fahrlässig auf derartige Kooperationen aus ideellen Gründen zu verzichten. Dem Verbraucher sollen keine Vorschriften gemacht werden, wo er seine Biolebensmittel zu kaufen hat, soweit Fadl. Das Idealbild vom Hofladen oder dem Marktstand ist noch präsent, weil es den unmittelbaren Kontakt zwischen Verbraucher und Erzeuger möglich werden lässt. Doch diese Vermarktungswege reichen weder aus, um alle Verbraucher zu bedienen, noch um marktfernen Erzeugern den Absatz ihrer Produkte zu garantieren. Als geographisches Beispiel nennt Dr. Eichert hier die Gegend zwischen Leipzig und Berlin, in der schlichtweg keine wirkliche Infrastruktur der Direktvermarktung etabliert sei.
Konventionelle Betriebe können nur dann sinnvoll auf Bio umstellen, wenn die Betriebe ihre Bio-Ware anschließend auch als solche verkaufen können. Ohne den Markt gibt es keine Umstellung.
Markus Fadl, Pressesprecher von „Naturland“
Um Risiken, die für die Anbauverbände durch die Marktmacht großer Handelsketten entstehen können weitestgehend auszuräumen, sei es essenziell, von Anfang an eine partnerschaftliche Kooperation zu entwickeln. Bioland konnte in diesem Zusammenhang weitreichende Zugeständnisse erzielen und so eine Ombudsstelle mit eigenen Anwälten zur Überwachung der Kooperation mit Lidl einsetzen. Darüber hinaus sei eine gewisse „Unaustauschbarkeit“ wichtig, soll konkret heißen, dass die Milch der Anabauverbände in ihrer Verfügbarkeit begrenzt sein soll. Durch diese Abkopplung vom konventionellen Markt kann die gesamte Biobranche schon jahrelang stabile Milchpreise gewähren. Während die Biobranche schon lange mit dem formulieren von Verkaufsargumenten, die dem Verbraucher den Mehrzweck eines teureren Preises erklären konfrontiert ist, hat sich die konventionelle Landwirtschaft lange nicht eingehend mit dem Thema Vermarktung beschäftigt. Um auf das Beispiel der Milchpreise zurückzukommen, die in der konventionellen Landwirtschaft stark schwanken, spricht man auch von bloßer „Milchablieferung“. Der drohenden Gefahr einer Preisspirale wollen die Kooperationen, die fairen Preise garantieren, zuvorzukommen.
Der Anteil von Biolebensmitteln ist in den Jahren 2008 bis 2018 laut dem Umweltbundesamt von 3,7 Prozent auf 5,38 Prozent angestiegen. Dieses vergleichsweise langsame Wachstum lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass der Fokus der Verbraucher jahrelang auf einen möglichst niedrigen Preis fixiert war. Dr. Eichert von Bioland prognostiziert im Gespräch mit Der Jungreporter für die kommenden Jahre jedoch eine erhebliche Beschleunigung des Trends. Im Wesentlichen ließen sich drei Phänomene beobachten, die dazu beitragen werden. Zunächst zeichnet sich aktuell eine extrem große Umstellungsbereitschaft konventioneller Erzeuger ab, was unter anderem daran liegt, dass für viele Landwirte neben ökologischen Argumenten auch ökonomische Gründe für die Biolandwirtschaft sprechen. Dass auch innerhalb der Bevölkerung der Wunsch nach einer anderen Form der Landwirtschaft immer größer wird, zeigen zum Beispiel die Erfolge der Volksbegehren über die Abwendung des Bienensterbens in Bayern und Baden-Württemberg. Zuletzt kommt man nicht umhin die Klimakrise, die schlichtweg eine ökologischere Form des Landwirtschaftens erzwingt, als dritten und langfristigsten Grund aufzuführen.
Eng damit verbunden zeichnen sich zwei zentrale Themen ab, die die Zukunft der Biobranche maßgeblich beeinflussen werden. Die Bewältigung der Klimakrise hinsichtlich ihrer bereits spürbaren Auswirkungen, aber vor allem in Anbetracht der Entwicklung langfristiger und nachhaltiger Strategien erfordert einen weitreichenden Umbruch in der Form des Landwirtschaftens. Gleichzeitig muss das Bewusstsein für den Preis, den unsere Lebensmittel wirklich haben wieder „geradegerückt“ werden. Es liegt einerseits an den politischen Entscheidungsträgern, konsequent nachhaltige Entscheidungen zu fällen, aber eben auch an uns Verbrauchern. Denn nur wenn die breite Masse die Qualität guter und nachhaltig erzeugter Lebensmittel wieder zu schätzen lernt, und in der Folge bereit ist einen höheren Betrag zu bezahlen, wird sich das System Bio auf einer breiten Ebene etablieren können, so Eichert von Bioland.
Der Kontrast zwischen dem konventionellen Handel und dem stilisierten Bild des Bio-Hofladens könnte kaum widersprüchlicher sein, doch gerade solche „grenzüberschreitenden“ Kooperationen ermöglichen es, der Branche ihre Werte und Prinzipien in der Mitte unserer Gesellschaft zu etablieren. Und werden dadurch in Zukunft eine wichtige Rolle für die Biobranche spielen.
Beitragsbild: unsplash.com / Jo-Anne McArthur